Von A wie Abisko bis Z wie Zuckerlblau

ZwischenWeberknechten und Nordlichtern

11. September – Spannung zwischen Regen und Licht

Der Flug von Stockholm nach Kiruna überrascht: ein großes Flugzeug mit drei Sitzen pro Reihe, voll besetzt. Unten, aus dem Fenster, nichts als Wald – endlos, mit kleinen Lichtungen dazwischen. Es fühlt sich an, als würde man mitten im Nirgendwo landen.

Diesmal bin ich nicht allein unterwegs. Sandra ist dabei – meine Kollegin aus den Kunsttherapie-Projekten. Spontan hat sie zugesagt, sich in letzter Minute Ausrüstung besorgt und steht nun tapfer mit mir am Anfang dieses Weges. Für mich ist es ungewohnt: Beim letzten Mal bin ich allein gegangen oder habe mich einer organisierten Gruppe angeschlossen. Aber zu zweit, so lange, eigenverantwortlich – das ist neu. Es fühlt sich anders an: geteilte Verantwortung, geteilte Momente, neue Dynamik.

Die Anspannung kommt erst nach der Landung: Im kleinen Raum des Kiruna Airports, beim Gepäckband. Plötzlich stehe ich inmitten von Dutzenden Menschen im Wanderoutfit, alle warten auf ihre dicken Rucksäcke. Ein kurzer Moment Panik: So viele? Kein Platz für uns? Irrational, denn wir haben ja unsere Zelte. Trotzdem, dieses Gefühl von Enge, von zu vielen Menschen.

Draußen löst es sich sofort. Die meisten steigen in Taxis, am Ende bleiben nur ein paar für den Bus nach Abisko. Die Fahrt durch Regen und Wald öffnet die Landschaft: wenig Zivilisation, große Stille. Es hat draußen 14 Grad, doch die Klimaanlage läuft. Tropfen rinnen über die Scheiben, dann in der Ferne erste Lichtspiele über den Bergen. Ein Vorgeschmack: So könnte es aussehen, wenn die Sonne zurückkommt.

In Abisko angekommen, bauen wir unser Zelt im Niesel auf. Kein glamouröser Start, eher ein Test für Ausrüstung und Stimmung. Wir scrollen durch die Wetter-App, hoffen auf morgen.

Am Abend das Kontrastprogramm: ein Burger im Bistro, in den ich lustvoll hineinbeiße – vielleicht der beste überhaupt. Dazu ein Bier. Oder seien wir ehrlich: zwei. Shop enttäuscht, weniger Auswahl als erträumt. Mückenspray ausverkauft. Der Regen prasselt aufs Zelt, Windböen lassen die Bäume über uns schwanken. Ich liege da, denke: Das Abenteuer beginnt.

12. September – Am Wasser entlang nach Abiskojaure

Der Tag beginnt grau, gelegentlich bricht Licht durch die Wolken. Sandra und ich starten gemütlich, fünfzehn Kilometer liegen vor uns – von rund 385 m Seehöhe in Abisko hinauf bis auf 490 m beim Abiskojaure. Der Weg folgt dem Fluss, der sich durch Stromschnellen und kleine Wasserfälle in Schiefer-Dolomit-Gestein frisst. Gischt sprüht, Felsen ragen bizarr in den Himmel, als wären sie von Künstlerhand arrangiert. Bei Marmorbrottet, einem Dolomitband, staunen wir über Formen, die wie gefaltet wirken. Sandra ist völlig hin und weg – und ich selbst kenne solche Strukturen schon ein wenig aus Schottland.

Wir gehen durch Birkenwald, über Bohlenstege, die sumpfige Abschnitte überspannen. Die Herbstfärbung ist überwältigend: Birken leuchten in Gelb, Heidelbeeren und Moose in tiefem Rot, dazu schon verblühte Weidenröschen. Das Wetter ist wechselnd, eher bewölkt, doch immer wieder öffnet sich ein Lichtloch. Regen verschont uns.

Am letzten Abschnitt frischt der Wind auf. Böen drücken gegen uns, reißen am Rucksack, werfen uns fast von den Bohlenwegen. Ich denke: Wenn das übermorgen am Pass so weitergeht … das wird spannend.

Am Nachmittag erreichen wir die Hütte Abiskojaure, direkt am See gelegen. Rundum Nationalpark – und hier gilt: Zelten nur an den vorgesehenen Plätzen. Wir schlagen unser Zelt im Wald auf, nah am Servicehaus mit Küche, Plumpsklos und Sauna.

Ich spüre die Erleichterung, aber auch das Unbehagen: In Abisko haben wir erfahren, dass viele Hütten bald schließen – es war ein Schock. Wir haben umgeplant, Proviant eingespart, gefragt, ob Schutzräume existieren – der Hüttenwirt konnte es nicht sicher sagen. Für uns ein befremdlicher Moment: Wir wandern in die Wildnis und wissen nicht sicher, ob bei Unwetter ein Dach da ist.

Die Sauna selbst: kein entspannendes Ritual, sondern ein Gedränge. Frauensauna von fünf bis halb acht, ein winziger Raum voller nackter Körper. Jeder sitzt auf seinem kleinen Handtuch, dicht an dicht, dampfig, heiß. Cool finde ich die Technik: Das Wasser wird in einem Kessel über dem Ofen erhitzt, draußen mischt man sich mit einer Schüssel sein eigenes Duschwasser. Sandra macht mehrere Runden, ich fliehe nach einer. Zu voll, zu eng. Stattdessen gehe ich hinunter an den See, fotografiere Abendstimmung, finde in der Linse die Ruhe, die ich in der Sauna vermisse. Fotografie ist für mich auch hier der Weg zur Stille.

Erst in der Hütte erzählen uns Leute, die von der anderen Seite kommen, wie heftig es dort war: Sturm, Regen, alles andere als idyllisch. Wir verstehen: Ein Wetterbericht nützt hier wenig. Hinter jedem Tal kann die Welt völlig anders aussehen.

In der Nacht keine Nordlichter. Aber um fünf Uhr stehe ich wieder am See: dunkles Wasser, das erste Licht, völlige Stille. Kein Feuerwerk, aber ein Moment, der tief in mir bleibt.

Infobox: Abisko Nationalpark
Der Abisko Nationalpark wurde 1909 gegründet und ist damit einer der ältesten Schwedens. Er liegt rund 200 km nördlich des Polarkreises und ist berühmt für klare Nächte und perfekte Bedingungen, um Nordlichter zu beobachten.

13. September – Ein lange Tag nach Alesjaure

Wir brechen um neun Uhr auf. Der Start liegt bei knapp 490 m Seehöhe an der Abiskojaure-Hütte, das Ziel auf rund 790 m in Alesjaure.

Der Morgen ist weich und klar.

Sandra und ich laufen im Rhythmus der Bohlenwege, die uns über Moore und sumpfige Stellen tragen. Langsam steigen wir an, umrunden einen Berg. Plötzlich öffnet sich das Tal: türkisfarbene Seen glitzern, Wolken brechen auf, Sonnenstrahlen setzen Spotlights auf Felsen und Moose. Die Landschaft wirkt wie eine Bühne. Sandra und ich bleiben stehen, schauen hinunter – und beide spüren wir Tränen in den Augen. So unfassbar schön, dass man fast nur noch weinen kann. Ein Moment, der uns beide wortlos erwischt, der uns zeigt, warum wir hier sind.

Weiter vorne setzt Regen ein, wir ziehen die Regenjacken an. Der Weg wird steiniger, unregelmäßiger. Meine Turnschuhe sind leicht und haben auf dem rutschigen Untergrund enorm guten Halt – da bin ich richtig begeistert. Aber sie stützen die Knöchel kaum. Auf dem unebenen Boden kippt man dauernd hin und her, und die Gelenke bekommen mehr Arbeit ab, als ihnen guttut. Am Abend spüre ich das deutlich.

Auf der gegenüberliegenden Seite taucht ein kleines Samidorf auf. Ein paar Rentiere ziehen gemächlich über die Hänge, fast lautlos. Ich bleibe stehen, fotografiere. Tiere, die so selbstverständlich hierher gehören, als wären sie Teil des Gesteins und der Farben.

Gegen Ende, als Müdigkeit spürbar wird, passiert es: Ein Regenbogen spannt sich über das gesamte Tal. Sandra lacht: „Na, dort liegt also das Gold begraben.“ Ein altes Sprichwort sagt, am Ende des Regenbogens wartet ein Schatz – für uns war es einfach ein Moment von Leichtigkeit am Ende eines langen Tages.

Am späten Nachmittag erreichen wir die Hütte Alesjaure – ein kleines Paradies auf 790 m Höhe. Ein Platz der Wärme nach einem langen Tag, mit Küche und Sauna. Der Hüttenwirt, lustigerweise aus Obertraun in Österreich, heizt sie extra für uns noch einmal ein, obwohl es eigentlich schon der letzte Tag ist. Sandra und ich sitzen allein im kleinen Holzhaus am Fluss, durch das Fenster sehen wir hinaus auf das rauschende Wasser. Der Ofen knackt, das Birkenholz verströmt einen eigenen Duft. Die Wärme tut gut, der Körper entspannt sich. So stelle ich mir Sauna vor.

Dafür gibts zum Abendessen sehr grausliche Würstchen…aber natürlich werden sie restlos verzehrt.

Chris aus Kalifornien sehen wir hier wieder – schon in Abiskojaure haben wir ihn kurz bemerkt. Diesmal reden wir ein wenig. Er wirkt krank, erzählt, dass er sich eine Erkältung eingefangen hat. Viel mehr ist nicht zu sagen.

In der Nacht jedoch holt mich die Trockenluft ein. Ich öffne das Fenster, kämpfe mit Albträumen. Am Morgen wache ich erschlagen auf, weit entfernt von Jubel – der Traum hängt in mir fest und begleitet mich noch weit in den kommenden Tag hinein.

Infobox: Die Sámi und ihre Rentiere
Die Sámi, das indigene Volk Lapplands, leben seit Jahrhunderten im hohen Norden. In Schweden wird ihre Zahl heute auf etwa 20.000 Menschen geschätzt. 
Ein Kern ihrer Kultur ist die Rentierzucht – in Schweden werden rund 260.000 Rentiere gehalten, und nur Sámi dürfen sie in bestimmten Regionen offiziell betreiben. Organisiert sind sie in sogenannten „Samebyar“ – Gemeinschaften mit festgelegten Weiderechten. 
Die Tiere ziehen weite Routen zwischen Sommer- und Winterweiden. Auf dem Kungsleden begegnet man ihnen immer wieder – manchmal in großen Herden, manchmal, wie an diesem Tag bei Alesjaure, nur ein paar Tiere, die wie selbstverständlich Teil der Landschaft wirken.

14. September – Richtung Tjäktja

Der Morgen beginnt schwer. Der Albtraum der Nacht hängt mir nach – wie eine Wattebauschglocke um den Kopf. Körperlich fühle ich mich stabil, aber innerlich bin ich gedämpft. Sandra und ich laufen los, jeder für sich, im eigenen Rhythmus. Kein ständiges Geplauder, sondern dieses stille, hingebungsvolle Gehen, das fast meditativ wird.

Die Etappe von Alesjaure zur Hütte Tjäktja misst etwa 13 Kilometer, mit rund 200 Höhenmetern Anstieg. Die Hütte liegt auf knapp 1.000 Metern Höhe. Der Weg zieht sich durch weite Moorflächen, immer wieder begleitet von Wasser: rauschende Bäche, Wildwasser, ferne Wasserfälle, die von den Bergen stürzen. Wolkenfetzen treiben über den Himmel, Sonnenflecken wandern über das Land. Ich nehme die Kamera in die Hand, und mit jedem Foto scheint sich etwas von dieser Glocke in mir zu lösen.

Am Nachmittag, bei der Hütte, erwischt uns Regen. Wir stellen uns kurz unter, warten den Schauer ab. Dann schlagen wir im Niesel das Zelt auf der Fläche unweit der Hütte auf, mit Blick hinunter ins Tal. Es ist kalt, windig, und wir kochen notdürftig im Zelt. Kein langer Abend – wir kriechen früh in die Schlafsäcke, hören den Regen, lassen den Wind am Zelt zerren. Früh schlafen, nicht aus Müdigkeit, sondern weil der Tag nichts anderes mehr zulässt.

15. September – Über den Tjäktjapasset

Die Nacht ist klar. Der Mond hängt groß über den Bergen, die Luft eiskalt. Unter null. Ich spüre es an den Augenlidern – dieses seltsame Phänomen, das ich schon aus Schottland kenne. Wenn die Temperatur kippt, werden meine Lider selbst zum Thermometer. Der Sturm fegt in Böen über das Zelt, rüttelt, rattert, doch wir bleiben warm genug im Schlafsack.

Am Morgen ist die Welt noch da, kalt und still. Wir packen zusammen. Die Wattebauschglocke des Albtraums noch spürbar, aber schwächer.

Der Aufstieg beginnt gleich hinter der Tjäktja-Hütte. Zuerst über eine Geröllhalde, lose Steine, jeder Schritt braucht Aufmerksamkeit. Dann zieht der Weg in Kehren hinauf, bis wir auf rund 1140 Meter stehen – dem höchsten Punkt des Kungsleden. Hier oben eine kleine Schutzhütte. Wir gehen nicht hinein, sondern schauen nur kurz. Der Wind ist rau, aber nicht so schlimm, wie die Geschichten es klingen ließen. Vielleicht Glück, vielleicht einfach ein guter Tag.

Dann der Abstieg. Steinig, aber bald öffnet sich die Landschaft. Ein U-Tal, so weit, dass es kaum zu fassen ist. Flüsse mäandern, Licht bricht durch die Wolken, wandert über die Flächen. Für mich einer dieser Momente, wo ich immer wieder stehenbleiben muss, weil die Kamera das, was das Auge sieht, nur andeuten kann.

Nach etwa zwölf Kilometern erreichen wir die Sälka-Hütte. Wir bauen unser Zelt in der Nähe auf, gerade rechtzeitig, bevor der nächste Regen einsetzt. Das Zelt, da triefend eingepackt, ist auch innen nass und mittlerweile voller kleiner Andenken an den bereits gegangenen Weg. Ich denke unwillkürlich an meinen Freund Boris, der immer ein “Extrafetzerl” mit für solche Fälle dabei hat. Ach Boris, du fehlst! Wir kochen im Schutzraum der Hütte. Zwei Tschechen sind schon dort, haben sich ausgebreitet, aber wir finden Platz. Der Ofen brennt, es riecht nach Holz und Suppe, und zum ersten Mal seit zwei Tag ist es richtig warm.

Draußen treffen wir Elisabeth – eine ältere Hüttenwirtin, offenbar eine kleine Berühmtheit auf dem Kungsleden. Sie ist gerade selbst auf dem Weg hinaus aus dem Tal. Zum ersten Mal gibt uns jemand, der dort arbeitet, wirklich hilfreiche Informationen – freiwillig, offen, freundlich. Es ist, als ob sie den Weg ein Stück weit leichter macht, einfach durch ihre Art.

Die Nacht im Zelt wird zur Erholung: Dauerregen prasselt stundenlang, einlullend, aber die Temperatur bleibt milder als oben am Pass. Wir liegen fast zwölf Stunden lang im Schlafsack – und schlafen tief.

16. September – Durch das Tal in Richtung Singi

Die Nacht war trotz Dauerregen erholsam. Im Zelt sammelt sich etwas Kondenswasser, nichts Dramatisches – aber wenn der Schlafsack die Zeltwand berührt, wird er stellenweise feucht. Alles bleibt unter Kontrolle, wir schlafen gut.

Am Morgen verlagern wir unser Frühstück in den Notraum der Hütte. Dort sitzen schon die beiden Tschechen vom Vortag, dazu ein junges deutsches Paar, das wir kennenlernen. Alle kochen Kaffee oder Suppe, niemand will hinaus in den Regen. Jeder versucht noch etwas Ausrüstung zu trocknen. Die Stimmung ist halb gesellig, halb zögernd – draußen wartet die nasse Welt.

Schließlich beschließen wir loszugehen. Es regnet noch, und ich liebe diesen Moment: eingepackt in die Regenkleidung, trocken darunter, während die Tropfen gleichmäßig auf die Kapuze klopfen. Das Gehen wird meditativ – kein Geräusch außer Regen und Schritten, und die Landschaft wirkt noch stiller, die Feuchtigkeit verschluckt Gedanken und Geräusche.

Dann die Überraschung: Eine kleine Herde Rentiere, ein Hirsch mit ein paar Kühen, kreuzt unseren Weg. Sie erscheinen plötzlich aus dem Nichts, so leise, dass man sie fast übersehen würde, wenn man nicht zufällig den Blick hebt. Ein stiller, intensiver Moment.

Später erreichen wir eine kleine Schutzhütte. Dort kochen wir Suppe, treffen wieder andere Wanderer. Und als wir weitergehen, reißt der Himmel auf. Die Sonne fällt auf die nassen Steine, das Wasser glitzert. Die Kamera hat etwas zu tun.

Am Abend schlagen wir unser Zelt auf einer Anhöhe auf, mit Blick auf kleine Seen und in das Tal, das nach Kebnekaise führt. Wir gehen nicht hinter zur Singi Hütte. Der Regen ist vergessen, die Stimmung mild, fast zärtlich. Wir machen Fotos, genießen das Licht – und finden zum ersten Mal seit Tagen wieder ein bisschen Empfang am Handy. Ein kurzer Gruß nach Hause, ein kleines Stück Außenwelt, das bis hierher dringt.

17. September – Ankunft in Kebnekaise

Wir frühstücken auf einem sonnigen Hang. Die Zelte bleiben im Schatten, feucht vom Tau, also packen wir sie nass ein.

Das Tal zieht sich enger. Links und rechts stürzen riesige Wasserfälle von den Bergkanten herab. In der Ferne, zwischen den Bergen, blitzt ein Gletscher hervor. Felsen mit Gletscherschliff - Zeugen der Vergangenheit.

Ich persönlich bevorzuge die weiten U-Täler – dort fühle ich mich wohler –, doch dieses engere Tal hat seine eigene, rauhe Schönheit.

An einer matschigen Stelle müssen wir die Schuhe ausziehen, um durch ein Moor zu waten. Beautytreatment für die Füße.

Dann wieder wildes Wasser - blau, wie Eiszapfenzuckerl, die man von Kindheitstagen kennt. Der Weg steigt ein wenig an, und schließlich taucht die Station Kebnekaise auf. Zuerst nur der Handymast, dann das Gebäude selbst – die erste große Unterkunft seit Tagen.

Wir checken ein in ein kleines Vierbett-Kabinett, das wir für uns allein haben. Preis: 590 SEK pro Person. Im Aufenthaltsraum treffen wir fast alle wieder: Elisabeth, Chris, die deutschen Wanderpaare, die Australier, den Dänen. Es fühlt sich an wie ein Klassentreffen nach Tagen in der Wildnis.

Die Sauna bringt Drama: Ich gieße Wasser auf, verbrenne mir die Hand im Dampf, halte sie in den Kübel mit kaltem Aufgusswasser, während ich in der Sauna sitze. Ein Bild für Götter. Sandra bleibt länger, ich flüchte in die Dusche. Und sie ist herrlich – warmes Wasser, dazu ein paar Wäschestücke, die wir ausspülen können. Ein Stück Zivilisation, das plötzlich wie Luxus wirkt.

Am Abend sitzen wir mit Chris aus Kalifornien zusammen. Ein Drei-Gänge-Menü: Rote-Bete-Suppe, Rentiergeschnetzeltes mit Preiselbeeren und Polenta, Panna Cotta mit Blaubeeren. Das Essen ist solide, aber für 58 Euro kein Höhepunkt. Der Burger in Abisko bleibt ungeschlagen. Doch das Gespräch mit Chris macht den Abend zu etwas Besonderem – offen, freundlich, ein Stück Gemeinschaft in dieser weiten Landschaft.

Die Nacht ist trocken, die Luft mild, und wir schlafen tief.

Infobox: Kebnekaise & Elsa
Kebnekaise Fjällstation liegt auf ca. 690 m Seehöhe am Fuß des Kebnekaise und ist die größte Berghütte Schwedens. Sie dient als Ausgangspunkt für Touren auf den Gipfel.
Für fast 30 Jahre leitete Elsa Göransson die Station. Ihre Gastfreundschaft prägte Generationen von Wanderern. Heute erinnert das Restaurant „Elsas kök“ an sie.
Der Kebnekaise ist mit 2.097 m (Südgipfel, Gletscher) der höchste Berg Schwedens. Durch das Abschmelzen des Gletschers schwankt die Höhe und liegt teils unter der des Nordgipfels (ca. 2.096 m).

18. September – Abschied von der Höhe

Am Morgen nehmen wir noch das Frühstück in der Fjällstation. Dann schultern wir die Rucksäcke und steigen hinunter ins Tal. Das Wetter ist prächtig, nur der Wind weht kräftiger. Die Birken flackern in sattem Gelb, und immer wieder queren wir kleine Bäche, silberklar, frisch und sprudelnd.

Ich bleibe öfter stehen, fotografiere kleine Arrangements – Blätter, Wasser, Farbe. Immer wieder drehen wir uns um: Die Berge liegen hinter uns, und man kann kaum glauben, wie weit wir schon gegangen sind, aus welcher Entfernung wir gekommen sind. Wehmut mischt sich in die Schritte. Das Abenteuer neigt sich dem Ende, doch wir nehmen uns vor, die letzten zwei Tage in dieser Landschaft voll auszukosten.

Und dann finden wir ihn – unseren Platz. Ein Stück Wiese direkt am Fluss, mit einem kleinen Holzsteg hinunter zum Wasser. Offenbar ein Ort, an dem schon viele vor uns gecampt haben. Für uns wirkt er wie ein Geschenk.

Der Abend sinkt herab, und wir fassen den Plan, wach zu bleiben. Vielleicht zeigen sich die Nordlichter. Gegen halb zehn krieche ich aus dem Zelt, und tatsächlich: grüne Schleier beginnen über den Himmel zu wandern. Ich wecke Sandra, und wir stehen draußen bis fast Mitternacht.

Es ist eiskalt. Das Wasser im Kocher und in den Flaschen ist angefroren, das Gas kämpft mit der Temperatur. Wir kochen Tee, springen hüpfend auf und ab, singen Lieder, nur um die Kälte aus den Knochen zu halten. Die Polarlichter tanzen über uns, und ich halte sie mit der Kamera und sogar mit dem iPhone fest – erstaunlich gut.

Erst kurz vor Mitternacht kriechen wir zurück ins Zelt. Wir stopfen alles an Kleidung und Lagen um uns herum, bis der Schlafsack ein Nest wird. Mit Innenliner, Daunenjacke und geduldiger Suche nach der perfekten Position wird es irgendwann warm. Und wenn man sie dann gefunden hat, schläft man wie ein Braunbär – trotz der klirrenden Kälte draußen.

19. September – Letzte Schritte nach Nikkaluokta und Heimreise

Die Sonne weckt uns direkt vor den Zelten. Noch ist es frisch am Morgen, doch wir sitzen draußen und frühstücken mit Blick aufs Tal. Die Zelte sind trocken, wir packen sie zusammen, während das Licht über die Berge kriecht.

Der Weg zurück ist vertraut und doch so anders. Wir laufen durch Birken- und Wacholderwald, etwa zehn Kilometer. Verblühte Weidenröschen säumen den Pfad, ihre wolligen Fäden fliegen im Wind wie kleine Geister.

Und dann kommt diese absurde Szene: Neben dem Pfad, außerhalb des Waldes, hockt ein Typ mit heruntergelassener Hose. Nicht versteckt, sondern sichtbar von weitem, vor allem sein weißer Hintern. Er ruft seinem Kollegen nach Klopapier. Wie hatte er diesen Platz gewählt? Wir stehen da, ich grüße ihn mit dem Wanderstock, lachen Tränen – ein Moment, der so unerwartet ist, dass er unvergesslich wird. Später begegnen wir ihm noch mehrfach – in Nikkaluokta, dann sogar am Kiruna Flughafen. Ich frage mich, wie es ihm wirkt, uns wiederzusehen.

Die letzten Kilometer ziehen sich. Jeder Schritt erinnert daran, dass diese Etappe der Abschied ist. Gegen fünf Uhr erreichen wir Nikkaluokta.

Wir hasten ins Restaurant – gerade noch rechtzeitig vor der Schließung – und gönnen uns Elchfleischbällchen und ein Bier. Einfach, herzhaft, und doch fühlt es sich an wie eine Siegesfeier. Morgen - Bus nach Kiruna.

In Kiruna besuchen wir noch die neue Stadt – ein kleines Shopping-Intermezzo. Die Läden schließen früh in der Neustadt, also hetzen wir durch einige – Geschenke, Souvenirs, letzte Schritte. Dann ziehen wir ins Quartier. Vorbei an der berühmten roten Holzkirche, die versetzt wurde. Wir wandern von Lokal zu Lokal, trinken Bier, essen, lachen. Schließlich landen wir in der Sauna im Keller unseres Quartiers. Dort treffen wir zwei andere Kungsleden - Wanderer, tauschen Geschichten aus. Die Erinnerungen flüstern in uns nach. Wir gehen schlafen – mit dem Gefühl, diese Reise sei nicht vorbei, sie lebe weiter.

Am nächsten Morgen: Frühstück, Taxi zum Flughafen, Heimflug. In Stockholm haben wir Zwischenstopp, die Zeit dehnt sich. Aber um 17 Uhr landen wir in Wien, Felix holt mich ab. Es ist auch schön wieder daheim zu sein.

Epilog – Zu den Landschaften, zur Verbindung mit Schottland & was bleibt

Was bleibt nach Tagen in Lappland? Ein Gefühl von Weite, von Größe, so dass man sich selbst klein fühlt – und doch lebendig.

In meiner Erinnerung taucht immer wieder Schottland auf – die Highlands, die Moore, das dramatische Licht. Und tatsächlich: geologisch gibt es Verbindungen. Der Kaledonische Gebirgsbau verband einst Skandinavien und Schottland – als die alten Kontinente sich verschoben und Ozeane sich schlossen. Die Gesteinsformationen in Schottland und diejenigen in Nordskandinavien tragen Spuren dieser alten Faltung.

Weberknechte unter den Füßen, Nordlichter über dem Kopf – irgendwo dazwischen sind wir gewandert. Von A wie Abisko bis Z wie Zuckerlblau.

Infobox Kungsleden
Der Kungsleden ist ein rund 440 Kilometer langer Fernwanderweg im schwedischen Lappland. Er verläuft zwischen Abisko im Norden und Hemavan im Süden und ist in mehrere Etappen unterteilt. Die beste Zeit für eine Wanderung ist zwischen Juli und September. Der Weg gilt als mittelschwer und setzt eine gute Grundkondition voraus. Übernachtungen sind in STF-Hütten entlang der Route möglich. Zu den Highlights zählen die unberührte Wildnis Lapplands, der Blick auf den Kebnekaise sowie – mit etwas Glück – Nordlichter oder Mitternachtssonne.

Kamera: Fuji XT5 plus Fujinon 18mm; iPhone 15pro

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Gelber Ginster und Gejammer